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Sterben

Das Sterben ist ein Thema, das wir Menschen gern ausklammern. Und doch ist mit jedem Menschen, der geboren wird klar, dass er eines Tages diese Erde wieder verlassen wird. Geburt und Tod sind eine untrennbare Einheit, ja sie bedingen einander sogar. Aber sich mit etwas zu befassen, was unser Ende bedeutet, ist oft verbunden mit Angst und großem Unbehagen. Wir rühren dabei an eine Grenze, die wir Zeit unseres Lebens wohl gehütet haben. Das Unnennbare wartet dahinter. Jenseits dessen, was wir erfassen und wissen können, liegt ein Land, für das wir alles zurücklassen müssen.

 

Zunächst einmal lassen wir unseren Körper zurück, unser vertrautes Gefährt, dass uns alle Lebensjahre begleitet hat. Mit ihm sind wir geboren, gewachsen und gereift. Mit ihm haben wir geliebt, gelacht, getrauert. Vielleicht hat er uns Kinder gezeugt und geboren. Mit ihm haben wir geliebte Menschen im Arm gehalten, gestreichelt, geküsst. Wir haben Lust mit ihm empfunden, ebenso wie Schmerz. Und immerwährend hat er sich verändert. Mal war dieser Körper vielleicht dick, dann wieder dünn, mal stark und voller Leben, mal faltig oder müde. Und so manche Krankheit hat uns an den Rand des Erträglichen gebracht. Einen Großteil unserer Lebenszeit haben wir dem Fortbestehen unseres Leibes gewidmet. Wir mussten ihn nähren, pflegen und schützen. Einen Ort für ihn finden, an dem er sein kann. Wir mussten arbeiten, um ihn zu erhalten. Wir haben viel Energie dafür aufgebracht, ihn zu kleiden, vor Kälte, Nässe und Hitze zu schützen und Nahrung für ihn zu beschaffen. Für manch einen war die Schönheit seines Körpers vielleicht die Priorität. Viel Zeit, Muskelkraft und Kosmetik brauchte es, um dem gerecht zu werden. Unser Körper war uns der treuste Begleiter. Wohin wir auch gingen, was wir auch erlebten: er war immer dabei! Jede Zelle hat ihr Bestes gegeben. Jede Erfahrung auf dieser Erde hat unser Körper möglich gemacht. Jede!

 

Und dann soll er gehen?! Wir sollen ihn zurücklassen? Er ist das Vertrauteste, was wir haben. Von ihm schien alles auszugehen, ihm galt unsere stete Fürsorge. Das sollen wir loslassen?! Es mag uns unerhört erscheinen. Unaushaltbar, abstrus...beängstigend. Zutiefst!

Für manchen Menschen stellt sich in der Konfrontation mit diesem tiefgreifenden Abschied vielleicht zum ersten Mal die Frage:

Bin ich mein Körper? Ist er meine gesamte Wirklichkeit? Bin ich nach meinem ‚Tod‘ immer noch ‚da‘?

 

Doch wir lassen ja nicht nur unsere Körper zurück. Auch alle Dinge, die wir besaßen und die uns wichtig schienen. Unsere Wohnung, Möbel, Bücher, Gesammeltes, Geerbtes. Schmuckstücke, Kleinode, unseren Kontostand. Alles was wir erschufen und alles was wir verschenkten. Alles was uns gegeben wurde und alles, was nur für uns eine Bedeutung hatte. Wir lassen es zurück.

 

Unsere Freunde und Familien bleiben hier, unsere Liebsten, unsere Feinde, unsere Widersacher. All jene, die uns bis aufs Äußerste herausgefordert haben, ebenso wie jene, an die wir unser Herz verloren oder durch die wir gelernt haben. Jedes Unrecht, jedes Recht bleibt hier. Die Witze, die wir erzählten bleiben ebenso hier, wie die Reden die wir hielten und der Klang unserer Stimme. Die durchwachten Nächte an einem Krankenbett, alle gehaltenen Hände, jedes tröstende Wort. Die Träume, die wir hatten, die Ideale und die Sehnsüchte. Die Traurigkeiten und das jauchzende Glück. Unsere Namen. Bleiben hier.

 

Wir gehen fort.

 

Gehen wir als die, als die wir kamen?

Wenn wir alle Dinge hierlassen müssen, welche Schätze bleiben?

Sind wir dennoch reicher als zuvor?

 

In was lohnt es sich zu investieren? In Dinge die gehen oder in Dinge die bleiben?

 

Wohin gehen wir, wenn dieses Leben endet?

 

Was ist das was geht?

 

Mit diesen Fragen wünsche ich allen einen inniglichen Übergang in die stille Zeit.

 

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