Es ist so schade!
Schade, dass immer mehr Wörter der Inflation zum Opfer fallen. Sie verlieren ihren Wert, weil wir sie zu oft und meist achtlos benutzen.
Richtig gute Wörter! Wörter mit einer tiefen Bedeutung, einer ursprünglichen Kraft.
Beim Hören von solch guten Wörtern kann ich ein Echo, einen Widerhall in mir spüren. Wie Wellen. Und zuweilen berühren sie sogar das Unaussprechliche. Die guten Worte haben eine Schwingung. Sie trifft auf etwas, das anfängt zu klingen, das es erwidert, bewegt, mittönt... in mir. Wie eine Melodie. Ein gutes Wort ist zum Beispiel Liebe. Ich kann es fühlen, wenn es wirklich gemeint ist. Es gibt auch Wörter voller Poesie. Wie das Wort Nacht. Oder Umwobensein. Oder Geborgenheit. Oder Duft. Pure Schönheit!
Gute Wörter sind ehrliche Wörter. Einfach. Klar. Und doch gelangt man nie auf ihren Grund. Weil man, um ihre Bedeutung wirklich zu verstehen, den Begriff überschreiten muss. Das macht sie auch zu einem Geheimnis. Oder zu einer Tür.
Wenn mir aber jemand erzählt „ Ich liebe mein Auto“ oder „Ich liebe gutes Essen.“, welche Liebe meint er dann? Die selbe Liebe, die er für seine Frau oder seine Kinder empfindet? Oder gar für das Leben? Es gibt in der Begeisterung für Dinge und in der Empfindung für Menschen wesentliche Abstufungen, warum benutzen wir dafür das gleiche Wort? Meinen wir wirklich, was wir da sagen? Welchen Wert, welchen Klang hat denn Liebe? Wenn wir von ihr sprechen, reihen wir dann nur achtlos Laute aneinander?
Oder wenn allerorts vom Erwachen gesprochen wird, sind wir noch sicher, dass wir das selbe meinen? Wenn ich morgens aufwache, ist das auch ein Erwachen. Dank Gottes Gnade passiert mir das jeden Morgen. Wenn mir plötzlich bisher nicht zugängliche Empfindungen klar werden, ist das auch ein Wachwerden. Wenn ich Schwellen in meinem Geist überschreite, kann sich das anfühlen, als sei ich aus einem langen Schlaf erweckt worden. Doch ist das Erwachen?
Viele, einstmals gute Worte sind inzwischen zum Alltags-Jargon verflacht. Wir 'lieben' Pizza, ein bestimmtes Design, Urlaubsorte und Filme. Wir 'trauern' um das Ende des Sommers oder einer Netflix-Serie. Wir 'vertrauen' jemandem unseren Schirm an. Wir 'erwachen' per Skype. Unbemerkt sind diese Worte aus ursprünglicher Tiefe in die breite Oberfläche gewachsen. Und wuchern dort vor sich hin.
Natürlich ist es so, dass wir Worte unterschiedlich benutzen und sie für uns Menschen verschiedene Bedeutungen haben. Abhängig von Erziehung, ethnischer Herkunft und sozialer Prägung messen wir Worten einen unterschiedlichen Wert bei. Da kann es zu Missverständnissen und Irritationen kommen, von urkomisch bis tragisch.
Selbst wenn wir meinen, wir würden in einem angeregten Gespräch von dem selben reden, wie unser Gegenüber, liegen wir häufiger daneben, als wir denken.
Ich habe mir inzwischen angewöhnt, bei der Erzählung eines Menschen mehr auf den Klang zu hören, den sie in mir erzeugt. Weniger auf den Inhalt. Ich höre auf den Widerhall, die Resonanz in mir. Kann ich fühlen, was die Worte sagen? Oder gibt es einen Missklang? Schwingt etwas oder ist es tumb? Stimmt der Inhalt der Worte mit der Melodie überein, die sie in mir erzeugen? Welchen Ton bewegt das Gesagte in mir? Welche Saite bringt es zum klingen?
Vielleicht ist es sogar möglich, die guten Worte vor einer Inflation zu bewahren. Indem wir achtsam damit sind und auf ihren Klang hören. Indem wir lernen zu unterscheiden.
So behalten gute Dinge ihren Wert.
Ihre Tiefe. Ihre Schönheit.
Und des Dichters Herz sagt: auch ihre Poesie!
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