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Von Jahr zu Jahr

Als ich heute morgen zu meiner Silvester Reise aufbrach, sah ich die Welt mit mir noch ungewohnten Augen. Ich sah viele kleine Universen in einem großen.

Menschen mit müden Gesichtern und schweren Gliedern, glimmende Vorfreude in manchem Blick, frisch gebügelte Uniformen, in Schals versunkene Wangen, Aktentaschen, Rollkoffer und Wanderrucksäcke. Gerötete Augen unter frisch getuschten Wimpern, geputzte Schuhe, Kopfhörer, ein kurzes Winken. Es roch nach Parfüm und After Shave, durchfeierter Nacht und nicht zu Ende gebrachtem Schlaf. Draußen huschten die Lichter der Straßenlaternen vorbei und in manchen Fenstern war schon Licht.

Wir alle, die wir da saßen, waren unterwegs. Von einem Ort zum anderen. Von einer Begegnung zur anderen. Von diesem Tun zum nächsten.

Geschichten standen in unseren Gesichtern. Spuren gelebter Tage und Nächte.

Hier Sorge, da Entschlossenheit, dort Liebe. Trauer, Freude, Heimliches...

Wir saßen alle in der selben Bahn. Für Augenblicke verbunden und unterwegs in eine Richtung. Aus unterschiedlichen Gründen, für unterschiedliche Dauer. Aber zusammen. Im selben Gefährt, zur selben Zeit. Hier. Zufallsbegegnungen, vorüberziehende. Nichts davon wird wiederkehren.

Wir fahren fort. Die Menschen fahren immer fort, der Augenblick fährt fort. Dieses Jahr fährt fort und das nächste auch. Wir sind immer unterwegs zu einem Morgen. Irgendwohin. Wohin?

 

Im nächsten Jahr wollen wir gesünder leben, eine bessere Wohnung, einen guten Partner finden, mehr Geld verdienen, glücklicher sein. Den Moment genießen, zur Ruhe kommen, inniger lieben, erwachen. Im nächsten Jahr. Morgen. Bis es soweit ist, müssen wir fortfahren in unserem Tun. Es soll schließlich besser werden. Das Unerfülltsein schiebt uns, die Sehnsucht zieht uns. Von Ort zu Ort, durch alle Zeit.

 

Ich bin unterwegs von diesem ins nächste Jahr und mir wird bewusst: Weder irgendwann noch irgendwo wird es besser. Denn ich bin nicht dort!

Ich kann nur sein, wo ich bin. Ich bin immer HIER.

Das ist die einfache Wahrheit. Die erlösende.

Während der Zug, der unser Leben ist, sich ohne Unterlass bewegt, verlassen wir den Platz nicht eine Sekunde.

Ob wir es wissen oder nicht - wir sind immer wir selbst. Das Selbst. SELBST!

Verborgen hinter allen Wünschen.

 

Wenn wir also auf Reisen sind, von diesem in das nächste Jahr, so wünsche ich uns heute weder dies noch das.

Nur diesen einen Moment.

Vollkommene Gegenwart.

 

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