Ein Funken von Vertrauen genügt, um miteinander ins Gespräch zu kommen oder eine Reise zu unternehmen. Um sich zu verlieben … ja sogar, um jeden Abend einzuschlafen.
Wenn wir es haben, ist Vertrauen ein sicherer Hort. Es fühlt sich weich an und zugleich stark. Es ist ein wohliges Gefühl, ein Grund auf dem wir stehen. Mit ihm ziehen wir in die Welt hinaus, sind guter Dinge, in Treu und Glauben, ohne Arg. Es kann Schutz und Öffnung für die Erfahrungen der Welt bedeuten. Wenn wir es nicht haben, wird die Welt ein düsterer, enger Ort, der unsere Annahmen immer wieder bestätigt. Wir können es also haben oder verlieren. Doch was braucht es für uns Menschen, um im Vertrauen zu bleiben oder dorthin zurück zu gelangen?
Wenn wir uns die ersten Wochen und Monate eines Babys anschauen, braucht es dafür am Anfang nicht viel. Wie aus einem uns nicht mehr bekannten Himmel kommend, liegt das Kleine in seinem Bettchen und kann nur existieren im absoluten Vertrauen. Wenn es weint oder lacht, reagiert jemand, wenn es Hunger hat, wird es genährt, wenn es Nähe braucht, wird es getragen und wenn es eine frische Windel braucht, ist jemand da, der sie ihm wechselt. Dieses ursprüngliche Vertrauen ist voller Süße. Von dieser selbstvergessenen Hingabe ist uns als Erwachsener schon einiges verloren gegangen. Deshalb fühlen wir uns davon magisch angezogen und berührt.
Auch bei unseren Tieren erleben wir dieses unbedingte Vertrauen. Jedes Haustier lebt in dem absolut schlichtem Vertrauen, dass für es gesorgt wird. Jeden Tag neu. Das besondere daran ist, dass dieses Grundvertrauen kein Nachdenken oder Zweifeln beherbergt. Vorausgesetzt, wir behandeln unsere Schützlinge liebevoll und traumatisieren sie nicht, sind sie um ihrer selbst Willen, was sie sind. Wir füttern und pflegen sie, geben ihnen Schutz und Auslauf und sorgen für sie, wenn sie krank sind. Die ungetrübte Offenheit, die uns Lebewesen entgegenbringen, rührt unser Herz und bringt uns dazu, für das uns Anvertraute zu sorgen. Ganz selbstverständlich. Es sichert ihr Überleben und gleichsam auch unseres. Es ist wie ein Vorschuss vom Leben. Ganz zu Beginn ist Vertrauen also etwas, wofür wir nichts tun oder überwinden müssen. Es ist eine Gabe, mit der wir geboren werden.
Leben geschieht
Doch es scheint, als ob wir bald schon einige bewusste Anstrengung und 'Arbeit' brauchen, um immer wieder ins Vertrauen zurückzukehren. Die Frage, ob wir das Vertrauen in uns tragen oder ob das Vertrauen uns in sich trägt - ob wir es verlieren oder erlangen können, lasse ich hier mal offen im Raum stehen. Jedenfalls kommt früher oder später das in unser Leben, was wir Erfahrung nennen.
Was uns aus dem Paradies der Arglosigkeit vertreibt, sind die ersten Enttäuschungen. Papa vergisst uns von der Kita abzuholen, Mama weiß auch nicht alles, die beste Freundin verrät ein Geheimnis, ein Kumpel hält ein Versprechen nicht. Leise beginnt der Zweifel an dem zu nagen, was Menschen sagen oder tun. Meinen sie es so? Wiederholt es sich? Man achtet auf Zwischentöne, lernt genauer zu beobachten, betrachtet sich Mimik und Gestik seines Gegenübers, legt den Kopf schief... Kann ich mich darauf verlassen?
Je älter wir werden, kommen und gehen Freunde und Partner in unserem Leben. Nur wenige bleiben für lange Zeit. Nichts bleibt, wie es ist. Was verlässlich schien, löst sich auf. Liebste verlassen uns, Lügen werden aufgedeckt, Arbeitsplätze gehen verloren, Wohnungen werden gekündigt, wir werden ernsthaft krank, unsere Nächsten sterben. Unsere Grundfesten werden erschüttert. Das, worauf wir bauten, ist nicht mehr da.
Auch das politische Geschehen in einem Land kann dafür sorgen, dass wir in unserem Vertrauen bitter enttäuscht werden. Was wir dachten, erweist sich als nicht wahr und die, von denen wir hofften, sie beschützen uns und wollen unser Bestes, tun tatsächlich etwas ganz anderes. Selbst dem positivsten Menschen verpasst eine solche Erfahrung eine gehörige Schlagseite.
Je länger wir also auf dieser Erde sind, umso mehr Dinge können geschehen, die aus Vertrauen mindestens eine Vorsicht werden lassen, wenn nicht gar Angst, Misstrauen oder Verschlossenheit.
„Wer andern gar zu wenig traut, hat Angst an allen Ecken,
wer gar zu viel auf andre baut,erwacht mit einem Schrecken.“
(Wilhelm Busch)
Die Tür von innen zuhalten
Angst und Misstrauen fühlen sich jedoch nicht nur schrecklich an, sie sind auch große Verhinderer. Sie blockieren gute Begegnungen, machen uns taub für echte Berührung und engen unsere Wahrnehmung schmerzlich ein. Sie trüben unseren Blick und unser Herz. Die Erwartung, dass uns das Leben feindlich gesonnen ist, beschert uns allzu oft eben genau das, was wir befürchten. In dem wir uns in unserer düsteren Erwartung bestätigt sehen, wird unser Geist noch enger und nach und nach scheint es immer schwerer, das wieder zu erlangen, was verloren gegangen scheint: Vertrauen.
Sicher sind wir uns darüber einig, dass es ein Mensch, der viele gute Erfahrungen gemacht hat, Fürsorge, Stabilität und Integrität erlebt hat, es um einiges leichter hat, der Welt mit Vertrauen zu begegnen. Anders als jemand, der immer wieder enttäuscht wurde. Die Welt, die wir sehen, ist von unserer Erfahrung gefärbt, von vergangenen Erlebnissen und Eindrücken. In diesem oder in anderen Leben. Der innere Speicher ist davon noch voll. Unsere Erfahrung bestimmt einen Großteil dessen, was wir wahrnehmen. Jeder kennt das Beispiel von dem halb vollen und halb leeren Glas. Objektiv betrachtet ist in dem Glas immer gleich viel Wasser, aber die Schlüsse, die jeder daraus zieht, sind so verschieden, wie wir Menschen selbst. Hat Vertrauen etwas mit Optimismus oder Gutmütigkeit zu tun, also müssen wir nur guten Mutes sein? Wenn ja, wäre die Welt für den, der vertraut, immer ein bisschen heller. Doch die Welt ist in dem Zustand, in dem sie ist, egal wie man darauf schaut. Das ist ein Fakt. Und es interessiert die Welt auch nicht, ob ich ihr vertraue. Der einzige Unterschied ist die Empfindung in meinem eigenen Innern, mein Erleben.
Auf eine 'helle' Welt schauen setzt voraus, dass es in mir selbst etwas gibt, dass das Helle kennt und spiegelt. Sonst könnte ich es nicht sehen. Ebenso ist es mit der Dunkelheit. Nur was in Resonanz ist, kann sichtbar werden. Und es macht einen riesigen Unterschied in unserem Erleben, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten. Alles was wir sehen, ist eine Reflexion unseres Inneren. Ob wir es wissen oder nicht. Jede Kritik, jedes Urteil, jede Dummheit oder Gewalt entstammt dem, was wir in uns selbst (noch) gefangen und versteckt halten.
Schmerz tut weh!
Dieser ungeheuer einfache Satz leuchtet uns lange nicht ein. Doch wenn wir ihn wirklich verstehen, können wir vielleicht beginnen loszulassen und heil zu werden. Nicht mehr länger an dem Schmerz festhalten heißt, uns ihm genau dann zu stellen, wenn er sich zeigt. Ihn nicht vergraben, verdrängen oder im stillen Kämmerlein gefangen halten. Uns keine Meinung darüber bilden und ihn nicht zu den anderen Schmerzen hinzutun. Sondern ihn spüren, genau jetzt, auch wenn es uns schüttelt. Oder besser, bis es uns schüttelt!
Aus der Tierwelt ist bekannt, dass Tiere, wenn sie gejagt wurden und gerade noch entkommen sind oder wenn sie irgendeine andere Art von Schock oder Verletzung erlebt haben, intensiv anfangen zu zittern. Was wir als Angst deuten, ist hier jedoch eine höchst heilsame Funktion. Der Stress der Erfahrung wird aus dem lebendigen Körper und allen Zellen heraus gezittert oder geschüttelt. Und zwar solange, bis das gesamte System wieder im Gleichgewicht ist. Es bleibt nicht (wie bei uns Menschen) eine verdrängte Erinnerung oder ein Gedanke an die Gefahr zurück. Nichts, was das Vertrauen ins Leben erschüttert. Lediglich eine instinkthafte Verknüpfung, die es dem Tier möglich macht, künftig solche Gefahrensituationen zu erkennen und zu meiden. Es lernt quasi direkt und intelligent. Aber es trägt dem Leben nichts nach. Solche Dinge tut nur der Mensch. Meist sogar, ohne sich dessen bewusst zu sein.
Es gibt für die Verarbeitung von Traumata und negativ prägenden Ereignissen eine Therapiemethode, die sich an diesem Vorbild der Tierwelt anlehnt. Diese Methode heißt TRE: Tension and Trauma Releasing Exercises. Die dort praktizierten Übungen lösen ein 'autonomes' Zittern aus und haben das Ziel, im System gespeicherte Angst und Anspannung zu entladen. Dies sei hier aber nur am Rande erwähnt.
Ein Tropfen im Ozean
Es ist vielleicht eine gute Idee, die Dinge in uns selbst zu fühlen, genau dann, wenn sie auftauchen. Ganz und gar. Wir können unsere Enttäuschung und unseren Schmerz auch äußern, ihnen Ausdruck verleihen. Und sie dann aber keinen Augenblick mehr länger festhalten. Vielleicht müssen wir das auch erst wieder lernen. „...und werdet ihr wieder wie die Kinder“ ist ein Werden, kein naives Verweilen. Die Arme für den Himmel immer wieder offenhalten, gerade und trotz aller Erfahrung, das verändert unser Erleben und räumt dem Guten den Platz ein, der ihm gebührt. Immer wieder vom Besten auszugehen, auch zutiefst innerhalb des Sturms, das ist Vertrauen. So bleiben wir für das Leben und all seine Erfahrungen offen, die da noch kommen mögen. Wir kehren zurück zu der Tatsache, dass das Leben gut ist, auch wenn wir nicht immer verstehen, warum etwas geschieht. Nur in diesem Augenblick. Nur in diesem einen. Weder in der Vergangenheit, noch in der Zukunft. Nur jetzt.
Aus dem eigenen Herzen keine Mördergrube machen, lässt uns vielleicht nicht mehr arglos sein wie ein Baby. Aber es lässt uns ein Leben erfahren, dass sich immer wieder neu zeigt, das voller Intensität und Überraschungen ist. Es lässt uns wieder erkennen, dass wir ein Tropfen im Ozean sind. Vertrauen, also Nicht - Wissen fühlt sich vielleicht an wie eine Gefahr. Sich einlassen auf das, was ist, löst unser kleines Ego in einem Sinn auf, der weit über es selbst hinaus geht. Wenn wir wirklich vertrauen, wissen wir nicht, was geschieht. Wüssten wir es, wäre es Gewissheit. Das einzige, was wir aber mit absoluter Gewissheit sagen können ist, dass wir jetzt hier sind und dass wir lebendig sind. Das ist alles, was wir haben. Ob wir dem Leben vertrauen oder nicht, macht nur einen Unterschied in unserem Herzen.
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