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Wie lang ist Jetzt?

Wir Menschen behaupten gern:

„ Ich lebe im Hier und Jetzt.“

Dafür mag es viele Gründe geben. Es hört sich klug an, praktisch und entschieden. So als würde man gar nicht viel herumdenken.

Zuweilen versucht man damit vielleicht auch, die ewig Gestrigen abzuwehren, die in ihren Erinnerungen leben. Seien es gute oder schlechte. Denn wer will schon immer die alten Geschichten hören?! Es kommt sicher auch vor, dass manch einer etwas, das er sich in der Vergangenheit nicht verziehen hat, mit dem Hier und Jetzt Satz wegschließt. Und es gibt auch Menschen, die zugleich mit diesem Satz eine Art 'Blumenkindlächeln' aufsetzen. Das soll einen glauben lassen, dass sie völlig entspannt und bewusst im Augenblick leben. Ich glaube, daher hat die Esoterik ihren schlechten Ruf bekommen.

 

Doch was genau bedeutet denn eigentlich Jetzt?

Gehen wir der Sache doch mal auf den Grund.

 

Die Wahrnehmung von Zeit

Jeder hat bestimmt schon einmal erlebt, wie relativ sich Zeit anfühlt. Bei besonders schönen Dingen scheint sie wie im Fluge zu vergehen, bei den schmerzhaften oder öden eher langsam. Das Wort Langeweile gibt übrigens auch einen Hinweis darauf, dass einem ein bestimmter Zeitraum (eine Weile) sehr lang vorkommen kann. Wohingegen ein kurzweiliger Moment oft etwas Gutes, Unterhaltsames bedeutet. Um Zeit überhaupt messen zu können, hat man sich aber darauf geeinigt, dass eine Sekunde, eine Minute, eine Stunde...immer gleich lang dauert. So sind die Fakten. Die Zeiger der Uhr sind nicht von unseren Stimmungen zu beeinflussen. Das heißt, die Wahrnehmung von Zeit ist subjektiv, die messbare Einheit jedoch nicht.

 

Wie lang ist Jetzt?

Hat Jetzt einen Sekundentakt oder den einer Stunde oder den einen Tages? Ist ein Augenblick das Selbe? Währt er so lang wie ein Augenzwinkern?

Nehmen wir mal an, ein Augenblick oder Jetzt dauert eine Sekunde. Was können wir innerhalb einer Sekunde bewusst wahrnehmen? Eine Bewegung, einen Geruch, ein Geräusch vielleicht. Wenn wir geübt sind, vielleicht sogar den Beginn eines Gedankens. Oder den Anfang einer Gefühlsreaktion. Doch schon während unser Hirn darüber reflektiert und die Erfahrung einordnet und verwertet, geschieht eine neue Sekunde. Ein neuer Eindruck, eine neue Empfindung. Und noch eine und noch eine...

Während wir noch damit beschäftigt sind, uns über das was geschieht bewusst zu werden, ist das Geschehene bereits Vergangenheit. Die Zeit geht weiter und weiter. Jeder Begriff, jedes 'Aha' und 'weil' bezieht sich auf etwas, was nicht mehr existiert. Man könnte auch sagen, das Hirn hinkt dem Geschehen ständig hinterher. Und ich nehme es mal vorweg: Es kann das Geschehen auch niemals einholen. Wenn wir also im Hier und Jetzt leben, kriegt unser Verstand davon gar nichts mit. Er kommentiert nur, was bereits vorüber ist.

 

Wer will es sagen?

Kann unser Verstand dann überhaupt etwas über das Jetzt sagen? Und ist es für unser Überleben notwendig, dass unser Denken irgendeinen Augenblick kommentiert? Den Duft einer Blume, den Wind, das Rauschen der Blätter... Braucht etwas, das absolut und offensichtlich der Fall ist, eine Instanz, die das benennt? Würden wir sonst aufhören zu existieren? Natürlich nicht!

 

Während wir im Tiefschlaf sind, funktioniert unser Organismus in vollkommener Perfektion. Niemand da, der das be-denkt. Das Leben geht einfach weiter. Die Atmung, der Herzschlag, der Stoffwechsel. Nichts davon braucht unseren Kommentar. Alles geschieht von selbst. Und dann kehren wir jeden Morgen aus diesem seligen Zustand des Nicht-Wissens zurück in die Zeit. Der Eindruck eines Ich's mit all seinen Gedanken übernimmt wieder das Ruder. Wir reflektieren und beziehen alles Geschehen auf uns, als Erlebende. Als wären wir dessen Mittelpunkt.

 

Wir wissen wieder, wie wir heißen und welcher Tag heute ist. Wir planen den Tag und erinnern uns an das, was gestern liegen geblieben ist.

 

Und dann sprechen wir von Augenblicken und fragen uns:

 

Wie lang ist Jetzt?

 

 

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